Einmischung und Widerstand lohnen sich

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Heute feiern wir den 100. Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die die UN Vollversammlung 1948 verabschiedet hat. Die Menschenrechtscharta hat seitdem viele massive Angriffe überlebt, weil überall auf der Welt sehr viele Menschen diese zivilisatorische Errungenschaft kontinuierlich und vehement verteidigten. Selbst die vor 30 Jahren noch totgesagte und reformunfähige UN, hat institutionell bestanden, nicht zuletzt weil die massiven ökologischen Krisen und Konflikte nur grenzübergreifend einigermaßen in den Griff zu bekommen waren. Ohne Kooperation geht es nicht, dämmerte selbst den schlimmsten NationalistInnen.

Und so konnten vor genau einem Jahr viele Menschen im großen UN-Plenarsaal einen anderen politischen Durchbruch feiern: sie klatschen, sie umarmen einander, manche hatten Tränen in den Augen. Viele unter ihnen hatten Jahrzehnte auf diesen Tag hingearbeitet. Denn am 2. Dezember 2047 haben die Vereinten Nationen einstimmig einen Vertrag verabschiedet, der den Einsatz, die Entwicklung, die Weitergabe und das Testen von solarem Geoengineering international verbietet.

Die StreiterInnen für dieses Verbot hatten ein starkes Vorbild: Lange ist es her, aber im Sommer 2017 verhandelte die internationale Gemeinschaft einen Vertrag, der Atomwaffen als letzte Massenvernichtungswaffen international ächtete und verbot. Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, ICAN, erhielt für diesen Einsatz noch im gleichen Jahr den Friedensnobelpreis.

Beflügelt von diesem Erfolg, machten sich Ende der 2010er Jahren weltweit AktivistInnen auf den Weg, für ein internationales Verbot von solarem Geoengineering zu streiten.  Weil die Regierungen den Klimavertrag von Paris von 2015 nicht umsetzten, kam immer mehr ins Gespräch, auf technologische Lösungen im Großmaßstab zu setzen. Globale Wetterverhältnisse und das Klima zu manipulieren, die überhitzte Erde runterzukühlen, selber und direkter mit Technologien am Thermostat zu drehen, indem die Sonneneinstrahlung beeinflusst wird, das war die Idee.

Der Kampf um Geoengineering steht paradigmatisch für die sozialen und politischen Kämpfe  der letzten Jahrzehnte um die Definitionsmacht über ein „Problem“ und seine „Lösungen“. Welche Geschichte erzählen wir, wenn wir von der Erderwärmung reden? Reden wir von der  Idee,  ja dem Imperativ, den Klimawandel auf sozial und ökologisch zukunftsfähige Weise zu stoppen? Oder die Geschichte von  technologischen und sogar militärischen Kontrollfantasien über das Erdsystem? Von neuen Massenvernichtungswaffen? Von Krieg und Frieden? Welche Erzählung sich zu welchem Zeitpunkt durchgesetzt, hat vor allem etwas mit politischen, ökonomischen und sozialen  Kräfteverhältnissen zu tun. Dass Geoengineering heute, Mitte des 21. Jahrhunderts, als das gesehen wird, was es ist – nämlich ein Set an Hochrisikotechnologien, die vor allem die Interessen der fossilen Industrie und der militärisch-industriellen Komplexe bedienen sollten –, liegt vor allem an der unermüdlichen Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen, sozialer Bewegungen, kritischer WissenschaftlerInnen und verbündeter RegierungsvertreterInnen, die Risiken und Gefahren dieser Technologien offenlegten und mit ihrer Kritik mehr und mehr Bevölkerungsmehrheiten erreichten .

Es begann im noch frischen Jahrhundert mit klandestinen Forschungsprogammen, an denen vor allem die Militärs der großen und mächtigen Staaten des 20. Jahrhunderts Interesse hatten. Die Kontrolle über das Thermostat der Erde versprach die ultimative Dominanz über die natürliche Welt und erdumspannende Kontrolle durch eine technokratische Elite.

Zur gleichen Zeit hat bereits eine Handvoll zivilgesellschaftlicher Gruppen den Vormarsch dieser Ideen und auch der Experimente im Visier gehabt und öffentlich gemacht.

Ein früher Erfolg war das in 2010 durch die Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen verabschiedete ‚de facto‘ Moratorium für alle klimabezogene Geoengineering-Technologien. Dies war vor allem auch der unermüdlichen Arbeit einer kleinen internationalen NGO namens ETC Group zu verdanken, die insbesondere die Länder des Globalen Südens über die Risiken und Gefahren von Geoengineering-Technologien informiert hatte.

Dennoch kam Geoengineering als ‚Option‘, die Klimakatastrophe zu stoppen, auf die internationale Agenda – auch, wenn damals noch viele Menschen dachten, dass diese Technologien für immer Science Fiction bleiben würden. Sie sollten sich täuschen: Verbissen verteidigte  die fossile Industrie ihr Geschäftsmodell;  unverfroren und im Bündnis mit den Leugnern der Klimawandels setzen sie alles auf die Karte der großtechnologischen ‚Lösungen‘. Besonders pikant: die Klimaleugner wollten damit plötzlich ein Problem lösen, dass sie zuvor noch bestritten hatten. Sowohl der Öl- und Gasindustrie als auch den KlimawandelleugnerInnen passte die Aussicht auf eine Reihe an „technofixes“ ganz hervorragend in den Kram: So würde sich in der Welt erst einmal deutlich weniger ändern müssen, als die KlimawissenschaftlerInnen  und AktivistInnen seit Jahrzehnten eindringlich gefordert hatten.

Aber die fossilen Protagonisten sollten sich täuschen: Darin, dass die menschliche Kontrolle eines so komplexen Systems wie des Klimas möglich sein sollte, und darin, dass die internationale Gemeinschaft solch autoritäre Allmachtsfantasien widerstandslos hinnehmen würde.

Paradoxerweise brachte das Pariser Abkommen von 2015, das völkerrechtlich verbindlich festlegte, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen, den BefürworterInnen des Geoengineerings erst einmal Auftrieb. Zeitweise hielt sich bis in Teile der Klimawissenschaft hinein die Auffassung, dass Geoengineering nun ein unvermeidbares Übel geworden war und dass es ohne unmöglich sein würde, das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen. Obwohl keine dieser Technologien nachweislich  funktionierte – vermochten die BefürworterInnen des Geoengineerings erfolgreich Kapital aus dem 1,5, Grad Ziel zu schlagen. Gut war, dass die internationale Zivilgesellschaft nicht locker ließ, breitere weltumspannende Bündnisse schloss und allmählich mit ihrer Kritik medial und politisch Gehör bekam. Erfolgreich war hier die  Hands Off Mother Earth (HOME)-Kampagne.

Bis in die 2020er Jahre hinein hielten sich Erfolge und Rückschläge noch die Waage:

Geplante Experimente des solaren Geoengineerings in der freien Natur konnten zwar immer wieder durch eine Verschränkung von lokalem mit internationalem Widerstand verhindert werden. Die Experimente in freier Natur,  so sehr sie auch umstritten waren und international kontrovers diskutiert wurden, schienen auf erste Akzeptanz in  den Köpfen der Menschen als ein Instrument der Bewältigung der Folgen des Klimawandels  zu stoßen. Denn Mitte der 2030er Jahre stieg die Marke der globalen Erwärmung auf 1.3°C. Extremwetterereignisse wie Dürren, Überflutungen und Hurricans verstärkten sich nochmals auf dramatische Weise und forderten sehr viele Opfer. Hitzewellen mit Temperaturen von über 55°C legten in den Sommermonaten ganze Gesellschaften lahm. Angst und Verzweiflung in den am stärksten betroffenen Gesellschaften beförderten, dass mehrere Staaten großangelegte nationale Forschungsprogramme auflegten. Geoengineering sollte nicht mehr nicht länger nur in Computermodellen simuliert, sondern bis  zur Einsatzbereitschaft entwickelt werden. Nicht in allen Ländern geschah dies gleich offen und transparent – jedoch ließen sich die Freilandexperimente, je größer ihr Maßstab wurde, unmöglich vor einer Weltöffentlichkeit verheimlichen. Diese Forschungsprogramme riefen andere Staaten auf den Plan, die sich dadurch bedroht sahen: Auch sie begannen, ähnliche Technologien zu entwickeln und zu erforschen – und sei es nur, so sagten sie, um einen unilateralen Einsatz von Geoengineering „neutralisieren“ zu können.

So entspann sich über ein Jahrzehnt lang ein Wettrennen, das an einen Rüstungswettstreit erinnerte. Schnell war klar: Bei einem Einsatz würde sich durchsetzen, wer die stärksten militärischen, ökonomischen und infrastrukturellen Kapazitäten hätte. Dass hier nicht mehr die Maßgabe war, wie sich Klimawandelauswirkungen eindämmen ließen und wer die negativen Auswirkungen und Nebeneffekte abbekommen würde, hatte Mitte der 2040er niemand mehr bestritten.

Die letzten Jahre in dieser Episode brachten die internationale Gemeinschaft und auch die Strukturen des UN-Systems an ihre Grenzen. Die demokratische Regulierung dieser Hochrisikotechnologie erschien als schwierig bis ausgeschlossen. Dass es letztlich zu keinem Einsatz kam, muss einer Kombination aus Glück, gesellschaftlichem Widerstand und dem Wissen gewesen sein, dass ein Einsatz eine Kettenreaktion im Klimasystem lostreten würde, die unmöglich noch beherrschbar gewesen wäre.

Entscheidend war in diesem Jahrzehnt  die Mobilisierung der HOME-Kampagne mit ungekannter weltweiter Unterstützung -- sie forderte immer wieder ein unmittelbares, internationales Verbot auf die Entwicklung und den Einsatz von solarem Geoengineering.

Die Verhandlungen über das Geoengineering-Verbot belebten das UN-System wieder; es wurde mehr denn je deutlich, dass kooperatives und demokratisches Handeln die einzige Chance ist, weltweite Katastrophen abzuwenden. Die UN-Vollversammlung, das höchste Gremium der multilateralen Ordnung, reaktivierte ihr Versprechen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, die Menschen vor Not, Krieg und Unsicherheit zu schützen und für eine soziale und ökogische Lebenswelt zu sorgen.

Heute, ein Jahr nach Abschluss des Geoengineering-Verbotsvertrags, schreitet die Ratifizierung in schnellen Schritten voran: Das notwendige Quorum aus Unterzeichnerstaaten und der Anzahl an Menschen, die sie repräsentieren, ist schon nach zwölf Monaten fast erreicht. Nimmt man laufende Ratifizierungsprozesse und Absichtserklärungen hinzu, so wird der Vertrag mit großer Wahrscheinlichkeit noch in der ersten Hälfte 2049 in Kraft treten. Doch die Verabschiedung des Vertrags ist, wie wir aus der Erfahrung mit anderen Mechanismen der Rüstungskontrolle und Abrüstung wissen, nur der Startpunkt von umfangreicher und jahrelanger Arbeit: Es gilt, die Strukturen aufzubauen, die das Geoengineering-Verbot implementieren und überwachen,  dass keine Experimente in freier Natur stattfinden.

Trotz wichtiger Parallelen, die sich zwischen der Geschichte der Atomwaffen und des Geoengineerings zeichnen lassen, gibt es einen zentralen Unterschied: Geoengineering konnte verboten werden, bevor es zu einem riesigen Unglück, zu einer Katastrophe oder zu einem weiteren Weltkrieg , ausgelöst durch deren Einsatz oder dessen Auswirkungen kommen konnte. Dass das keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt die Geschichte. Und es gibt Hoffnung, dass es gelingen kann, auch bei anderen disruptiven Risikotechnologien die sozialen und ökologischen Auswirkungen ernst zu nehmen und sie noch frühzeitiger zu regulieren.

Und wer weiß, vielleicht erwartet ja auch die HOME-Kampagne noch eine internationale Auszeichnung für ihre langjährige Arbeit, Technologien zu verbieten, die Sicherheit und Frieden gefährden. Einmischung und Widerstand lohnen sich.

 

* Disclaimer: Auch Carbon Dioxide Removal (CDR) fällt für uns in die Kategorie Geoengineering.

Barbara Unmüßig
Die Autorin ist Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung

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