Wege in eine andere Globalisierung, oder: Wenn‘s um Welthandel geht ist weniger mehr!

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Rückblickend muss ich sagen, dass wir es ja schon lange wussten und mit unserer Meinung ja auch nicht besonders hinterm Berg gehalten haben: Die Wiederbelebung einer kritischen Debatte rund um Wirtschafts- und Handelspolitik mit dem Widerstand gegen die transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP & CETA, sowie die anhaltenden Streitigkeiten im Rahmen der WTO und die endgültige Blockade der Konzernklagerechte in Freihandels- und bilateralen Investitionsabkommen haben dafür gesorgt das System nachhaltig zu verändern. Heute, in 2048, können wir konstatieren, dass sich Weltwirtschafts- und Handelssysteme quasi selbst abgeschafft haben, weil sie keine Antworten auf die Fragen unserer Zeit geben konnten.

Schon vor 30 Jahren analysierten auch die Eckpfeiler der multilateralen Freihandelssystems (WEF- Weltwirtschaftsforum, WTO – Welthandelsorganisation, Weltbank und andere), dass unser Weltwirtschafts- und Handelssystem eine Reform bräuchte, um die Globalisierung wieder (so zumindest die vorherrschende Annahme) für alle nutzbar zu machen. Das sich verschärfende Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich schien auch an den Institutionen nicht unbemerkt vorbeizugehen. Dennoch verhandelten und handelten sie weiter nach dem altbekannten Muster „Mehr Handel = mehr Wachstum = mehr Wohlstand“, alles weitere, so wurde gesagt, sei eine reine Verteilungsfrage. Doch die Verteilungsfrage wurde nie angegangen. Rechte Regierungen und nationalistische Bewegungen haben ihr übriges getan, um das Ringen auf der multilateralen Ebene dermaßen aufzuladen, dass überhaupt keine Bewegung in den Verhandlungen mehr stattfand. Die Akteure schienen sich nicht mehr zu verstehen, auch wenn sie doch weiterhin alle über dieselben Dinge sprachen. Doch neben schönen Worten brachten die Institutionen es nicht zu Stande über ihre eigene Logik hinauszuwachsen und stattdessen haben die Menschen selbst das Ruder in die Hand genommen. Und zwar besonders dort, wo der Stein ohnehin längst ins Rollen gebracht wurde: zum Beispiel bei unserem Essen.

Von der Basis aufwärts hat sich ein Trend durchgesetzt – Wissen ist gut, Kontrolle ist besser, wenn‘s darum geht was auf den Tisch kommt. Menschen bauen ihre eigenen Systeme auf – es muss ja nicht gleich jeder und jede Subsistenzwirtschaft betreiben. Aber es gibt sie durchaus – die jungen Bäuerinnen und Bauern, die aufs Land zurück drängen. Aber es gibt eben auch andere Akteure: die Stadtbevölkerung, die höchstens mal einen Topf Basilikum Zuhause zieht, oder Menschen die auf dem Land leben ohne selbst Landwirtschaft zu betreiben und dennoch eint sie ein Ziel: ihr Essen den Krallen der Agrarindustrie entreißen wollen. Sie alle gestalten als Konsequenz eigenständige Versorgungsmodelle wie Genossenschaften, Konzepte der Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi) oder andere Formen der Direktvermarktung.

Hierbei ging es eben zunächst um eine bewusste Entscheidung in Sachen Ernährung  eben nicht mehr transnationalen Konzernen und Agrarindustrie das Spielfeld zu überlassen. Lieber auf Handarbeit setzten – im tatsächlichen wie im übertragenden Sinne. Dieses Bild erscheint Ihnen überhöht und romantisiert? Mit Nichten!  Für die Herausforderungen unserer Zeit: Klimawandel, Bevölkerungszuwachs, weiteres Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich, Ressourcenknappheit, planetare Grenzen, Hunger, Geschlechterdemokratie….müssen wir selbst Hand anlegen. Alternativen leben heißt selbst aktiv werden – und das kann auf den unterschiedlichsten Ebenen sein – so lange es darüber hinausgeht die Ausgestaltung der aktuell regierenden Koalition zu beweinen.

 

Haben wir’s immer gewusst?

„Landwirtschaft raus aus der WTO“ ist eine alte Forderung der 90er, aber damit nicht weniger wahr. Doch statt nur auf Regulierungen und internationale Verhandlungen zu setzten, hat die weltweite Zivilgesellschaft den Stillstand der internationalen Handelspolitik genutzt, um weiter zu denken und mit Kampagnen und Praxis in der Landwirtschaft, der nationalen Verankerung von Konzernsorgfaltspflichten und Menschenrechten weltweit die Wertepfeiler der Handelspolitik neu auszurichten. Für einen Welthandel, von dem nicht nur einige wenige Großkonzerne profitieren.

Ein Umverteilen geht eben auch nur, wenn wir ein Umdenken in Sachen Akteure haben: nur noch wenige Akteure die eine gesamte Wertschöpfungskette beherrschen sind ein Problem für die Umwelt und uns Menschen. Zusammenhänge zwischen Erzeugungsverhältnissen, Handelsabkommen und negativen globalen Auswirkungen  wie der Zerstörung von lokalen Erzeugungsstrukturen und Märkten sind lange bekannt. Nun wurde gehandelt.

Sichtbar machen, wie aus Regulierungen und hohen Standards ein Geschäftsmodell werden kann, und dabei geht es nun nicht darum den nationalistischen Arm zu stärken und nur noch Milch von nationalen Kühen und Bäuerinnen zu kaufen, sondern durchaus auch solidarische globale Konzepte in den Vordergrund zu stellen!

Produkte werden mit einer Klima- und Menschenrechtsbilanz versehen. So haben alle was davon: Mensch und Natur –ist ja klar. Damit wird nun endlich neben der Produktion auch der Transport in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt.

 

Für flexible Konzepte!

Das gerne besungene Wort der Resilienz - der Widerstandsfähigkeit, ist nun eben so wichtig wie nie – das heißt aber implizit auch, dass es eine neue Offenheit geben muss und eben nicht immer auf das altbewerte Mantra „Liberalisierung, Wachstum und Deregulierung“ zurückgegriffen werden kann. „One size fits all“ ist eben nicht sehr zielführend. Die Versuche neue Wege zu gehen und verschiedene Antworten zu geben aber schon. Das haben wir zum Glück seit 2018 erkannt.

 

Nelly Grothefendt

Die Autorin ist Referentin für Politik Weltwirtschaft und Handelspolitik des Forum Umwelt und Entwicklung.

Schöne Neue Welt